schnipp, schnapp – was geht ab?

wuah, eigentlich will ich gar nicht so viel über vorhäute nachdenken. männlichen geschlechtsorganen haftet ja leicht mal etwas lächerliches an – die frühfeministin helene von druskowitz bezeichnete diese in ihrer zugegeben deutlich einseitigen schrift Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt als „schlumpumpenartig“, und da ist ja auch irgendwie was dran. wie auch immer, sie haben eben was sie haben, und da mir als erwachsene heterosexuelle frau „haut dran“ oder „haut ab“ bislang herzlich egal war, habe ich mir eine gewisse vorhautkompetenz erst mit der geburt meines sohnes angeeignet, wobei es da dann nur um praktische fragen der hygiene geht.

und von einem tag auf den anderen geht es nur noch um vorhäute, wohin ich auch schaue. selbst den bundestag hat das thema schon erreicht. auslöser ist natürlich das urteil des landgerichts köln, das die beschneidung als körperverletzung einstuft. die debatte treibt dabei seltsame blüten, und eine „richtige“ position dazu ist zumindest für mich nicht in sicht. da haben wir

– gläubige menschen, die das herumschnippeln an ihren söhnen als religiöses grundrecht einstufen,

– verteidigerInnen der freien religionsausübung, die das herumschnippeln an kindern dafür billigend in kauf nehmen,

– rechtsprechungsskeptikerInnen, die in der herumschnippelei ein problem sehen, das aber nicht durch juristische vorgaben lösbar finden,

– antisemitInnen, denen jedes thema recht ist, um das judentum irgendwo in der nähe der barbarei zu verorten,

– antiislamistInnen, denen… (-> siehe „antisemitInnen“),

– menschen, die in der verteidigung der beschneidung die einzig sinnvolle haltung zu der frage sehen, wenn sie sich gegen antisemitismus positionieren wollen,

– atheistInnen, die so tun, als sei die beschneidungspraxis der beste beweis dafür, warum relgiosität per se bekloppt sei,

und dann gibt es natürlich noch die kleinen jungs, die in dieser debatte nur objekt sind, weil sie sich qua ihres alters leider nicht in die debatte einklinken können. und weil kinder in unserer gesellschaft ohnehin nach wie vor als eigentum der eltern wahrgenommen werden („was ich mit meinem kind mache, das ist doch wohl meine sache“).

damit wird die frage, ob kleine jungs beschnitten werden dürfen oder nicht, ungefähr auf das niveau gehoben, als ob es darum ginge, ob man anderen vorschreiben darf, in welcher farbe sie ihren zaun streichen sollen. das ist für mich nun allerdings der skandalöse teil dieser auseinandersetzung, und mir fällt es recht leicht, mir eine meinung zu dem thema zu bilden, wenn ich den ganzen erwachsenen ideologischen quatsch einfach mal beiseite schiebe und mir die nackten (äh, ja…) tatsachen anschaue. erwachsene schneiden einem kind ein teil des körpers ab, aus welchen gründen auch immer. bei einer medizinischen indikation wird abgewogen zwischen der einschränkung des kindes durch eine vorhautverengung z.b. gegen die verbesserung der situation des kindes durch eine beschneidung. geschenkt, solche entscheidungen gehen mit der elternschaft einher: sie müssen stellvertretend für das kind gefällt werden. aber bei einer religiös oder kulturell indizierten beschneidung wird hier das kindeswohl abgewogen gegen das wohl der eltern. und das geht nicht, punkt. es ist für mich kein setting denkbar, in dem eltern das recht haben sollten, ihrem kind vorsätzlich schmerz zuzufügen und es unwiderruflich körperlich zu verändern. meine kluge kollegin machte mich darauf aufmerksam, dass das dann auch für das schießen von ohrlöchern bei sehr kleinen kindern gelten müsse – und ich sage: ja. stimmt. auch das finde ich absolut nicht in ordnung.

bei der in manchen kulturkreisen üblichen beschneidung von mädchen sind sich die meisten einig: das darf nicht sein. auch diese beschneidungen haben zum teil religiösen hintergrund, und dennoch ist klar, dass das barbarisch ist. nun liegt es mir fern, die schwere der eingriffe vergleichen zu wollen. dennoch ist für mich nicht nachvollziehbar, dass das einzige argument, warum das eine pfui, das andere aber okay sein soll, im grad der körperlichen veränderung, im grad der schmerzhaftigkeit, im grad der auswirkung auf das weitere leben des kindes liegen soll (so argumentiert u.a. auch tolmein hier in der diskussion). aufgabe der eltern muss sein, die körperliche unversehrtheit des kindes zu schützen, nicht sie zu bedrohen. je brutaler der eingriff, desto schlimmer, selbstverständlich. aber es wird nicht ein „je harmloser, desto okayer“ daraus.

wenn nun ein parlament sogar beschließt, es solle ein juristischer rahmen geschaffen werden,

„der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist“,

sollte allen, die kinderrechte hoch halten, der atem stocken. „nötige schmerzen“ gibt es demnach, schmerzen, die kindern zugefügt werden müssen, weil es dem willen der eltern entspricht. what the fuck??

es gibt längst arbeitskreise innerhalb der großen religiösen gemeinschaften mit beschneidungspraxis, die sich mit alternativen zeremonien zur beschneidung beschäftigen. es wäre angesagt gewesen, eine kommission mit diesen vertreterInnen zu bilden und gemeinsam eine lösung zu suchen. ich stimme zu: auf juristischer ebene lässt sich dieses problem allein nicht lösen; weder in die eine noch in die andere richtung. doch wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich es angemessener finde, dass die religiösen gemeinschaften das beschneidungsalter so heraufsetzen, dass die jungs frei wählen können, oder ob der gesetzgeber grundsätzlich entscheidet, dass es fälle gibt, in denen eltern (ohne dass damit ein größeres übel vom kind abgewandt wird) diesem vorsätzlich schmerzen zufügen und eine irreversible körperliche veränderung vornehmen, da muss ich nicht lange überlegen. und es erschreckt mich, wieviele der menschen, auf die ich in der regel große stücke halte, in dieser frage ganz anders entscheiden.


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~ von superjule - Juli 23, 2012.

4 Antworten to “schnipp, schnapp – was geht ab?”

  1. Ich bin komplett bei Dir!

  2. Ich bin ebenfalls bei deiner Analyse.
    Die Diskussion wird jedoch unabhängig von dieser Debatte um religiöse Beschneidung geprägt durch die ganz persönliche Einstellung um männliche Beschneidung, bei der es bei vielen eine feste Meinung gibt doch sehr selten eine offene Debatte entsteht.
    Es geht schließlich um wenig im Bereich des wenigen, dass im Erleben des Mannes als durchaus wesentlich – selten auch entscheidend zum Selbstwert eines Mannes stilisiert wird- Durch Männerwelt und Frauenwelt gleichermaßen.
    Beschneidung- meist ohne die mündige Entscheidung des Beschnittenen- muss also später vehement verteiligt werden. Ist es doch unwiederbringlich. Nur selten liest man über diejenigen, die das Gefühl des „Fehlens“ empfinden und artikulieren. -Aber sie gibt es.
    Von Seiten der Frauenwelt wäre interessant, ob die teils klare Positionierung beeinflusst wird durch die bisherige oder frühe sexuelle Konditionierung.
    Und bei den „Freunden“ der Vorhautbefreiten Penisen kommen wie aus der Pistole geschossen hygienische Gründe und manche können auch mit einem erhöhten Krebsrisiko trumpfen.
    Bei einer Phimose lasse ich das gerne gelten.

    Es gibt tatsächlich epidemiologische Studien bei denen bei beschnittenen Männern das Penis-Karzinom und das Gebährmutterhalskrebs der Partnerin signifikant gehäuft sind.
    Von einer Korrelation auf eine zwingende direkt Kausalität zu schließen, sollte der BILD u.ä. überlassen werden. Alle anderen sollten Studien hinterfragen und nach Co-Foundern und Bias suchen. Z.B.: Waren die Studien-Macher selber neutral (haben sie ihre Hosen runter gelassen?)
    War Promiskuität in den beobachteten Gruppen gleich verteilt? War der Status des HP-Virus gleich verteilt?
    Nehmen wir es mal an.
    Die Kausalität besteht recht glaubhaft am „Smegma“, jene etwas eklige Schmiere, die sich zwischen Eichel und Vorhaut ansammelt.
    Wenn man also da nicht oft sauber macht entsteht eher Krebs und wenn man zudem da nicht oft hinguckt oder der Körperteil verdrängt wird, entsteht auch Krebs, der inoperabel wird.
    Meines Wissens gibt es keine Studie, die beschnittene Männer mit jenen vergleicht, die definitiv gründliche Körperhygiene untenrum betreiben.

    (Man zieht sich ja auch nicht die Zähne, weil dann definitiv weniger Karies auftritt als beim Tragen von Vollprothesen).

    Viele Traditionen geben einen Sinn- oder gaben einen Sinn. Es geht bei der religiösen Beschneidung von Männern wohl weniger um ein „Schönheitsideal“ sondern hatte (bzw. hat in vielen Ecken der Welt) einen Sinn. Fehlt doch in vielen Gebieten noch die Bildung, Aufklärung und manchmal auch Wasser und Seife.

    Somit bin ich gegen eine plötzliche Kriminalisierung der mänlichen Beschneidung denn eine solche Tradition wird man damit lediglich in die gefährlichere illegale Praxis verlagern.
    Aber zeitgleich muss auch diese Tradition hinterfragt und kritisiert werden dürfen. Erster Schritt wäre, dass die Gläubigen das Recht bekommen, zum Wohle ihres Kindes nicht zu beschneiden.
    Davon höre ich wenig in der so liberal anmutenden aber deswegen unehrlichen oder oberflächlichen Debatte.

    • matthias, genau diese sorge habe ich natürlich auch: die gefährliche illegale praxis. deshalb plädiere ich für einen dialog mit vertreterInnen der glaubensgemeinschaften – anders wird veränderung nicht möglich sein. (und: vielen dank übrigens für den vergleich mit den gezogenen zähnen; das ist schön griffig!)

  3. Ich habe Deinen Artikel erst jetzt gelesen. Prima, besser kann man das nicht zusammenfassen! Komisch, daß sich diese Sichtweise immer noch nicht durchgesetzt hat und diese Debatte immer wieder von vorn geführt wird, auch in den Medien. Ich möchte noch ergänzen, daß meiner Meinung nach die Sache auch juristisch völlig klar ist. Frage mich jetzt nicht nach Paragraphen, wenn´s notwendig ist suche ich sie aber raus. Die staatbürgerlichen Rechte, also auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit stehen über dem Recht auf freie Religionsausübung. Schön fand ich folgendes Beispiel: Eine alte Frau sitzt in der ansonsten ziemlich leeren Kirche und betet. Sie übt also ihre Religion aus. Zwei Reihen vor ihr erleidet ein Mann einen Herzinfarkt. Die Putzfrau, die auch noch da ist ist verpflichtet zu helfen und einen Notarzt zu rufen, sonst kann sie wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden. Das gleiche gilt für die betende Frau, sie MUSS helfen, auch wenn sie sich in ihrer Religionsausübung beeinträchtigt fühlt. Staatsbürgerliche Rechte und Pflichten stehen über dem Recht auf Religionsausübung, was zu beweisen war. Viele Grüße von Julia

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